Högis Cyberspace

Gerhard Höger-Hansens private Website

Aktueller Anlass: Ein Spiegel-Artikel über den relativ geringen wirtschaftlichen Einbruch in Schweden:

Schweden hat die Wirtschaft besser geschützt als die Menschen

Man kennt das schon: Die Corona-Maßnahmen waren "lax", die Todesrate "enorm hoch", Fazit: Die Schwedische Regierung mit dem Gottseibeiuns Anders Tegnell hat Menschen für schnöden Mammon geopfert.

So einfach ist das aber nicht. Dazu muss man wissen, dass nach den mittlerweile (angeblich) international abgestimmten Erhebungsgrundlagen derjenige als Covid-Toter gezählt wird, der in den letzten 4 Wochen vor seinem Ableben positiv auf Corona getestet wurde - unabhängig von der tatsächlichen Todesursache. Das mag insofern vertretbar sein, als es aufgrund fundamental unterschiedlicher Gesundheitssysteme unmöglich scheint, zwischen "mit" und "an" Covid Verstorbenen zu unterscheiden. Man muss die resultierenden Zahlen dann aber auch vorsichtig interpretieren, und genau das geschieht im Falle Schweden - vermutlich aus politischen Gründen - nicht.

Zum Ersten muss man berücksichtigen, dass Schweden den ursprünglich geplanten Weg der kontrollierten Durchseuchung der Bevölkerung beibehalten hat, was unweigerlich dazu führt, dass ein größerer Anteil von Verstorbenen positiv auf das Virus getestet werden kann. Um so mehr, als der Test nicht zwischen einer wirklichen Infektion und einer reinen Exposition unterscheiden kann. Auch mit der Grauzone, nicht genau zu wissen, wer wann getestet wird, dürfte es wahrscheinlich sein, dass die meisten im Krankenhaus eingelieferten Personen getestet werden. Da die meisten Todesfälle vermutlich im Krankenhaus stattfinden, liegt es nahe anzunehmen, dass damit auch mehr Covid-Tote gezählt werden, als wenn man mit aller Macht versucht, das Virus auszurotten (ein Weg, dessen Erfolg noch lange nicht bewiesen ist).

Anders Tegnell hat auch eingestanden, dass am Anfang Fehler gemacht wurden, indem die Risikogruppen nicht ausreichend geschützt worden sind. Das trifft aber auf viele Länder zu, und hat meiner Einschätzung nach auch viel mit dem Zufall zu tun (Einschleppen über Reisende, Multi-Spreader).

Zum Zweiten steht die Tatsache im Raum, dass der durchschnittliche Schwede 80,9 Jahre alt, der durchschnittliche Deutsche 78,6 Jahre alt wird (2,3 Jahre mehr). Die durchschnittliche Schwedin wird 84,3 Jahre alt, die durchschnittliche Deutsche 83,3 Jahre (1 Jahr mehr). Quelle: https://www.laenderdaten.info/lebenserwartung.php

Da die allermeisten Covid-Toten in den hohen Altersgruppen zu finden sind, wird das auch eine Rolle spielen bei der Anzahl gezählter Covid-Toter.

Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, die Frage zu stellen, warum ein Schwede 2,3 Jahre länger leben darf als ein Deutscher? Womit klaut uns unsere Regierung diese Lebenszeit?

Das kann man als Unsinn abtun, teilweise zurecht, weil die Lebenserwartung von vielerlei Faktoren abhängt und die Lebensverhältnisse nicht 1:1 vergleichbar sind. Es ist aber nicht weniger unsinnig als das permanente Schweden-Bashing, dem wir in den Leitmedien ständig ausgesetzt sind.

Zum Dritten kann man sich ansehen, wie die Übersterblichkeit in Schweden, verglichen mit anderen Ländern, verlaufen ist. Das weist darauf hin, dass die hohen Relativwerte auf der Basis "Covid-Tote" im Vergleich mit anderen Ländern unter dem Blickwinkel der absoluten Übersterblichkeit nicht ganz so dramatisch aussehen:

https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps/

Eine grobe Einschätzung der über dem Normalwert Verstorbenen ergibt die Fläche zwischen der blauen durchgezogenen und der blauen gestrichelten Linie. Vergleichen Sie mal im unteren Drittel die Länder Sweden, UK, Spain, Belgium usw.

Zum Vierten darf man nicht vergessen, dass der Großteil der durch die Corona-Maßnahmen massiv betroffenen Unternehmen Kleinunternehmen sind, von denen viele Menschen ihr Einkommen beziehen. Damit ist absehbar, dass wir einen nicht unerheblichen Anstieg der Armut zu befürchten haben - und Armut ist eine sichere Voraussetzung für eine kürzere Lebenserwartung.

Zuletzt wird auch der Verlust an Lebensfreude und Sicherheitsgefühl nicht für ein längeres Leben unserer Landsleute sorgen ("Land des verlorenen Lächelns"). Plus zu wenig Bewegung, psychische Krankheiten, verschobene oder vermiedene Behandlung ernsthafter Krankheiten usw. usf.

In meinen Augen ist der Blick unserer Leitmedien auf unser Nachbarland von einer ungeheuren Borniertheit geprägt. Irgendwie auch sehr Deutsch, oder?

Wie die Pandemie in Schweden verläuft, kann man sehr übersichtlich hier verfolgen:

https://experience.arcgis.com/experience/09f821667ce64bf7be6f9f87457ed9aa

Also mal selbst ein Bild machen und nicht einfach alles glauben.