Högis Cyberspace

Gerhard Höger-Hansens private Website

Sie hieß Sabine. Sabine K.... Und sie hatte irgendwie das seltsamste Lächeln der Welt.

Es muss 1992 oder 1993 gewesen sein, als ich im Herbst von einer Computermesse in München nach Stuttgart zurückfuhr. Die Bundesbahn hatte die neuen ICE noch mit Stolz, und man wußte noch nicht, was passiert, wenn man so ein modernes Transportmittelwunder an einer Brücke zusammenfaltet.

Auch gab es noch mehr Abteile als heute, wo fast nur noch der hühnerstangengleiche Reih- und Glied-Transport autistisch in ihr Smartphone vertiefter, paarweise aufgereihter Passagiere den von der Wagenhülle bereitgestellten Raum füllt.

So kam es, dass ich in einem Abteil mit sechs Plätzen saß, akustisch wie räumlich vom übrigen Geschehen etwas abgetrennt. Der Zug war voll, denn die Messe war damals gut besucht. Daher waren wir zu sechst, sechs Mitreisende, die Atmosphäre entspannt, die Systems (genau, so hieß die Messe, es gibt sie gar nicht mehr!) war damals im Kommen und alles neu und spannend.

Ich war damals, als Schwabe, bereits in Sachsen gelandet, zumindest überwiegend dort tätig, und irgendwie kam das Gespräch im Abteil auf die Wiedervereinigung und "was machen Sie denn so?", und letztlich auf: Dialekte.

Ich mag Dialekte, mir gefiel damals besonders das Sächsische "Nu?" und einige der Idiome hatte ich mir angeeignet und gab sie gut gelaunt zum Besten. Da wir auf dem Weg von Bayern nach Württemberg waren, entspann sich ein angeregtes Gespräch mit allerlei Einsprengseln und Zitaten aus Sächsisch, Schwäbisch und Bayerisch.

Ich saß am Gang, und es gab draussen eh nichts zu sehen, weil es bereits dunkel war. Es war Herbst.

Mir gegenüber saß eine Frau, ein bißchen jünger als ich (ich war auch nicht mal dreißig), und mir war während des Gesprächs schon ihr Mund aufgefallen. Ein sehr schöner Mund, davon abgesehen, wie überhaupt das ganze Wesen eine aparte Erscheinung war. Aber der Mund war doch ganz besonders. Anfangs nicht beteiligt am Gespräch der Mitreisenden - sie las - mußte sie hin und wieder doch lächeln und mir fiel auf, dass dabei die Mitte ihrer Lippen geschlossen blieb, während den Mundwinklen zu ihre Zähne durchblitzten. Ich glaube, ich habe mich insgeheim gefragt, wie sie das macht.

Irgendwann fiel sie in das Gespräch ein, und sie war Saarländerin! Noch ein Dialekt, und so wurde das Gespräch noch einmal angeregt und bereichert.

Es kommt aber der Punkt, da sind die zündendsten Anekdoten ausgetauscht und die witzigsten sprachlichen Idiome zitiert, und das Gespräch flaut ab. So auch hier, ein freundliches Nicken, manches Buch wurde wieder gezückt, und es wurde ruhiger im Abteil. Ich hatte irgendwie Hunger und fragte gerade heraus, ob die Dame, von deren Mund ich nur mühsam meinen Blick abwenden konnte, vielleicht mit zum Speisewagen wolle?

So kam es, dass ich mit einer saarländischen, schönen Frau aus St. Wendel ("woher wissen Sie denn, wo St. Wendel ist?" - "unser Semestersprecher an der FH kam daher!") im Speisewagen zwischen München und Stuttgart Tomatensuppe schlürfen durfte. Ich erfuhr, dass sie Biochemikerin war und sich mit der Analyse von Abwässern beschäftigte.Wir lachten herzlich über mein Bonmot vom "Kacke kochen". Sie hatte wohl einen Kongress in München besucht, und war jetzt auf dem Rückweg, wie ich. Als der Zug in Stuttgart ankam, mußte ich aussteigen, und wir tauschten Kärtchen aus (oder haben wir Adressen notiert? Ich weiß es nicht mehr).

Ich muss mich wohl Hals über Kopf verliebt haben, denn ich erinnere mich noch, dass ich noch mindestens eine Stunde durch die Gegend gefahren bin und immer diesen Mund und die Stimme vor Augen und Ohren hatte. Aber schließlich war ich verheiratet, Vater zweier Kinder usw usf... man muss sich ja auch beherrschen können.

Zurück in Sachsen (ich war damals noch Wochenpendler), habe ich ihr irgendwann geschrieben. Im Frühjahr darauf kam ein Brief mit dem offiziellen Briefkopf ihres Instituts, dort stand sinngemäß

"Hallo lieber Herr Höger-Hansen, das Frühjahr ist da! Ist das nicht wunderschön? Viele herzliche Grüße aus dem Saarland..."

Was wohl aus meinem Leben geworden wäre, wenn ich einfach ins Saarland gefahren wäre? Hätte ich alles hingeschmissen? War sie überhaupt liiert? Man wird es nie wissen, und ich habe nie mehr etwas von ihr gehört.

Sie hieß Sabine. Sabine K.... Und sie hatte irgendwie das seltsamste Lächeln der Welt.